Verkehrssicherungspflicht – Stadt St. Pölten haftet für Bäume

Wie schon in unserem letzten Beitrag (vgl. Rechtsblog Homepage vom 21.2.2012) erwähnt, häufen sich in jüngster Zeit höchstgerichtliche Entscheidungen zur Frage der Verkehrssicherungspflichten. So hatte der OGH auch im November 2011 (2 Ob 203/11h) wieder über die Frage der Verkehrssicherungspflichten zu entscheiden.

Im gegenständlichen Fall kam es im März 2008 aufgrund des Sturmtiefs „Emma“ in St. Pölten zum Sturz eines Baumes auf ein vorbeifahrendes Auto. Dabei wurde die Beifahrerin tödlich verletzt, drei weitere Insassen erlitten schwere Kopfverletzungen.

Den Eigentümer des Baumes, im vorliegenden Fall die Stadt St. Pölten, trifft in gleicher Weise wie einen Gebäudeeigentümer, eine verschärfte Haftung in Analogie zu §1319 ABGB. Diese Gefährdungshaftung ergibt sich aus der Tatsache, dass der Eigentümer selbst am Besten in der Lage ist die Mangelhaftigkeit und die daraus resultierende Gefährlichkeit frühzeitig zu erkennen und dementsprechend handeln kann und muss. Zu einer Haftung kommt es jedoch nur insofern als, einerseits der Geschädigte beweisen kann, dass der eingetretene Schaden durch den mangelhaften Zustand des Baumes erfolgt ist, und andererseits dem Eigentümer nicht der Nachweis gelingt, dass er alle Maßnahmen ergriffen hat, die nach vernünftigen Umständen von ihm erwartet werden können.

Die ÖNORM L 1122 (in der Version vom 1.5.2003) stellt dabei den Stand der Technik dar und verlangt als Mindeststandard eine regelmäßige Sichtkontrolle von Bäumen und deren Dokumentation in einem Baumregister. Sollten bei einer Überprüfung besorgniserregende Umstände eintreten, müssen weitergehende Untersuchungen vorgenommen werden, wie zB eine Klopfkontrolle und weitere Kontrollen in kürzeren Intervallen. Zweck dieser Begutachtung ist unter anderem das Feststellen des Gesundheitszustandes des Baumes als auch dessen Verkehrssicherheit.

Im gegenständlichen Fall kam es hingegen zu keiner Zeit zu einer Überprüfung des Baumes, obwohl dieser bereits ein sehr hohes Alter von rund 80 Jahren aufwies und sich zusätzlich an einer äußerst stark frequentierten Straße befand. Schon allein aufgrund dessen, wäre seine Verkehrssicherheit bevorzugt zu kontrollieren gewesen. Durch die vernachlässigte Kontrolle wurde die fortschreitende innere Fäule des Baumes, welche bei Bäumen in dieser Altersklasse häufig vorzufinden ist, nicht erkannt. Besonders schwerwiegend ist die Tatsache, dass im gegenständlichen Fall die Stadt St. Pölten nicht nur als Baumerhalter sondern auch als Straßenerhalter gem §91 StVO verantwortlich ist.

Der OGH kam letztlich, in Übereinstimmung mit den Unterinstanzen, zu einer Haftung der Stadt St. Pölten für die durch den Baumsturz verursachten Schäden. Nach Ansicht des OGH war die innere Fäule, und nicht der Sturm als „vis maior“ für den Unfall ausschlaggebend. Vor allem aufgrund der unterlassenen Vorgangsweisen nach der ÖNORM L1122, konnte der Beweis nicht erbracht werden, dass der gefährliche Zustand des Baumes bei einer nach dem Stand der Technik ordnungsgemäßen Kontrolle nicht bemerkt worden wäre.

Überzogene Ansprüche an Baumerhalter zu stellen wäre dennoch nicht im Sinne dieser Entscheidung, da dies vermutlich zu einem „sicherheitshalben“ Fällen von gesunden Bäumen führen würde. (Gunter Nikodem, Zusammenfassende Darstellung vom 08.10.2011http://baumexperten.at/wp-content/uploads/2011/12/111010-Zusammenfassung-Urteil-St.Pölten.pdf).

Aufgrund dieser besonderen Baumkontrolle gem ÖNORM L1122 stellte sich die Frage, ob die dafür anfallenden Kosten Betriebskosten darstellen. Der OGH stellte dazu bereits in seiner Entscheidung vom 07.07.2011, 5 Ob 111/11a, fest, dass Kosten für die Erfassung von Bäumen einer Liegenschaft in einem Baumkataster als auch die Baumkontrolle gem ÖNORM L1122 keine überwälzbaren Betriebskosten iSd § 24 Abs 2 MRG darstellen.

Damit wurde klargestellt, dass nur jene Kosten, die der laufenden Betreuung von Grünanlagen dienen, auf die Mieter überwälzt werden dürfen. [vgl. OGH 07.07.2011, 5 Ob 111/11a, immolex 2012/2 (14)].