Mietvertrag entfaltet keine Schutzwirkungen zugunsten von Besuchern (2 Ob 70/12a; 2 Ob 137/11b; 4 Ob 223/10p)
Der OGH schafft mit seiner kürzlich ergangenen Entscheidung 2 Ob 70/12a zum heiklen Thema der Schutzwirkungen eines Mietvertrages zugunsten von Besuchern endlich Klarheit.
Ein Bestandvertrag darf Schutzwirkungen nur gegenüber solchen Personen entfalten, die das Bestandobjekt in ähnlicher Intensität und Häufigkeit wie der Bestandnehmer selbst nutzen. Ein kurzfristiger Aufenthalt von bloßen Besuchern, wie beispielsweise Klienten, Kunden oder Patienten eines Geschäftsraummieters, ist davon nicht erfasst. Den Bestandgeber trifft solchen Personen gegenüber lediglich eine deliktische Haftung für mangelnde Verkehrssicherung in den Zugangsbereichen. Mit diesem Themenkomplex hat sich der OGH in der Vergangenheit bereits mehrmals auseinandergesetzt.
In seiner jüngst ergangenen Entscheidung 2 Ob 70/12a stellt der OGH nunmehr klar, dass die Schutzwirkungen eines Mietvertrages zugunsten Dritter (Besucher) weiterhin restriktiv auszulegen sind. Konkret ging es in dem Fall darum, dass der Kläger, ein Patient des Bestandnehmers, bei einem Glatteisunfall im Innenhof des Bestandgegenstandes zu Sturz kam. Der OGH musste sich nun mit der Frage befassen, ob der Patient des Facharztes zum Kreis der Begünstigten aus einem Mietvertrag zwischen dem Hauseigentümer als Bestandgeber und dem Arzt als Bestandnehmer zähle. Nach Ansicht des OGH ist der begünstigte Personenkreis aufgrund einer objektiven Auslegung des Vertrages zu bestimmen und ist zur Vermeidung einer uferlosen Ausweitung der Vertragshaftung eng zu halten. Eine vertragliche Haftung des Bestandgebers gegenüber dem Patienten scheidet somit aus. Weiters kommt der OGH zum Ergebnis, dass weder die Räum- und Streupflicht nach § 93 Abs 1 StVO noch die Wegehalterhaftung nach § 1319a Abs 2 ABGB als Anspruchsgrundlage für deliktische Schadenersatzansprüche gegen den Bestandgeber geltend gemacht werden kann. Der Schadenersatzanspruch ist lediglich auf die Verletzung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten zu stützen. Für ein Fehlverhalten des Hausbesorgers haftet der Bestandgeber nur im Rahmen der Besorgungsgehilfenhaftung nach § 1315 ABGB. Vorliegendenfalls hat der OGH auch klargestellt, dass die Hausbesorgerin ihren Pflichten ordnungsgemäß nachgekommen ist und sie nicht als „untüchtig“ iSd § 1315 ABGB gilt. Es ist somit auch eine deliktische Haftung auszuschließen.
Schon in seiner bisherigen Rechtsprechung führte der OGH aus, dass der Kreis der durch einen Mietvertrag begünstigten Personen insbesondere Familienangehörige, Hausangestelle und Arbeitnehmer des Bestandnehmers umfasst; jedoch nicht bloße Besucher. Eine Einbeziehung dieses Personenkreises in die Schutzpflichten des Bestandvertrages ginge zu weit. Die Nebenpflichten des Vermieters aus dem Bestandvertrag erstrecken sich somit wohl auf die zur Hausgemeinschaft des Mieters gehörenden Personen, nicht aber auf Personen, die sich nur für kurze Zeit in den Mieträumen aufhalten. In der Rechtsprechung kommt darin zum Ausdruck, dass ein nur kurzfristiger Aufenthalt nicht ausreichend ist, das geforderte Naheverhältnis zum Vermieter herzustellen.
Nur in einer durchaus bemerkenswerten Entscheidung 4 Ob 223/10p hat der OGH im Sinne eines obiter dictums (Begrifferklärung am Ende des Beitrags) ein weiter gefasstes Begriffsverständnis des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, sohin des vom Mietvertrag umfassten geschützten Personenkreises anklingen lassen; dies hat für kurze Zeit Anlass zur Hoffnung auf eine Ausweitung der Schutzwirkungen auf Besucher gegeben. Der OGH bringt in einem obiter dictum zum Ausdruck, dass die Auffassung, dass bloße Besucher von den Schutzwirkungen eines Mietvertrages nicht umfasst seien, in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Grundsatz steht, wonach die Schutzwirkungen eines Vertrages im Allgemeinen solche dritten Personen erfassen, deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung bei Vertragsabschluss vorhersehbar war. Es ist insbesondere üblich und vorhersehbar, dass Mieter Gäste empfangen und/oder umso mehr, dass Ärzte in ihrer Praxis Patienten behandeln und in Empfang nehmen. Der Bestandgeber hat prinzipiell dafür zu sorgen, dass der Bestandnehmer (und geschützte Dritte) durch Gefahrenquellen des Bestandgegenstandes nicht geschädigt wird und hat die dafür notwendigen Verkehrssicherungspflichten zu treffen. Das Bestreben einer uferlosen Ausweitung der vertraglichen Haftung des Bestandgebers durch Einbeziehung eines unüberschaubaren Personenkreises entgegenzuwirken, sei zwar berechtigt, sollte aber, so der OGH noch im obiter dictum der Entscheidung 4 Ob 223/10p, nicht dazu führen, den bloßen Besuchern die Schutzwirkungen zu versagen.
In der einschlägigen Folge-Entscheidung 2 Ob 137/11b referiert der OGH den Stand der Judikatur und zwar sowohl die ältere restriktive Rechtsprechung (2 Ob 206/08w; RIS-Justiz RS0023168) als auch die in der oben zitierten Entscheidung 4 Ob 223/10p geäußerten Zweifel. Er tritt diesen Zweifeln noch nicht entschlossen entgegen, da er ein weiteres obiter dictum vermeiden will und führt aus, dass „hierauf nicht näher eingegangen werden muss“, da in diesem Fall die Eigenschaft des Geschädigten als „Besucher“ verneint wurde. Der Sturz der Klägerin ereignete sich auf einem allgemein benützbaren Verbindungsweg, von dem man sowohl zur Seniorenanlage der Beklagten, als auch zu anderen Grundstücken und der Wohnanlage der Klägerin selbst gelangt. Hier stellt sich die Frage der ausreichenden räumlichen Nahebeziehung der Klägerin zu der ihrer „Wahltante“ aus dem Heimvertrag geschuldeten Hauptleistung; ob die Klägerin überhaupt das Kriterium eines „Besuchers“ erfüllt, das jedenfalls eine Voraussetzung als Einbeziehung Dritter in den vertraglichen Schutzbereich darstelle. In dieser Entscheidung kann es somit auf sich beruhen, ob der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter auf einen weiten Personenkreis (Besucher) ausgedehnt werden soll.
Seiner in der konträren Entscheidung 4 Ob 223/10p als obiter dictum gefassten Ansicht blieb der OGH jedoch nicht treu und stellt mit der eingangs besprochenen Entscheidung 2 Ob 70/12a klar, dass ein Mietvertrag keine Schutzwirkungen zugunsten von bloßen Besuchern entfaltet. Es sollen gerade eben nur solche Dritte von den Schutzwirkungen eines Bestandvertrages erfasst werden, die das Bestandobjekt in ähnlicher Intensität und Häufigkeit nutzen wie der Bestandnehmer selbst. Mit der eingangs besprochenen Entscheidung des OGH 2 Ob 70/12a wird Klarheit und Rechtssicherheit geschaffen. Der OGH hat uns mit dieser Entscheidung auch vor Augen geführt, mit welcher Vorsicht ein obiter dictum zu genießen und jedenfalls zu hinterfragen ist.
obiter dictum: lateinisch = das nebenbei Gesagte; (in einem Urteil eines obersten Gerichts) rechtliche Ausführungen zur Urteilsfindung, die über das Erforderliche hinausgehen und auf denen das Urteil dementsprechend nicht beruht; Gemäß Beschreibung laut Wikipedia ist ein obiter dictum eine in einer Entscheidung eines Gerichtes geäußerte Rechtsansicht, die die gefällte Entscheidung nicht trägt, sondern nur geäußert wurde, weil sich die Gelegenheit dazu bot. Den Gegensatz zum obiter dictum bildet die ratio decidendi.