Auflösung des Mietverhältnisses wegen rücksichtsloser Umbauarbeiten des Mieters, OGH 08.03.2012, 2 Ob 164/11 y
Die gegenständliche Entscheidung ist von besonderer Bedeutung, weil dem Berufungsgericht – nach entscheidender Ansicht des obersten Gerichtshofs – bei der Prüfung des geltend gemachten Auflösungsgrundes eine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Nach § 1118 1. Fall ABGB kann der Bestandgeber die frühere Aufhebung des Vertrages fordern, wenn der Bestandnehmer der Sache einen erheblichen nachtheiligen Gebrauch davon macht. Hierunter sind sowohl der erheblich nachteilige Gebrauch im engeren Sinn als auch das unleidliche Verhalten zu subsumieren. Der OGH hat die Eckpunkte der umfassenden Judikatur zu § 1118 1. Fall ABGB klar herausarbeitet.
Zunächst ist der erheblich nachteilige Gebrauch im engeren Sinne, welcher gleichlautend als Aufkündigungsgrund in § 30 Abs. 2 Z 3 1. Fall MRG normiert ist, begrifflich zu durchdringen. Dieser Auflösungsgrund liegt vor, wenn durch eine wiederholte, länger währende vertragswidrige Benützung des Bestandobjektes oder durch eine längere Reihe von Unterlassungen notwendiger Vorkehrungen eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstandes erfolgte oder auch nur droht (5 Ob 142/11k; 2 Ob 165/11w; uva.), oder durch das nachteilige Verhalten des Mieters wichtige wirtschaftliche und persönliche Interessen des Vermieters oder der anderer Mieter gefährdet werden (3 Ob 108/09t; 3 Ob 87/10f; 8 Ob 137/10w; uva). Die Vornahme von baulichen Veränderungen durch den Mieter ohne Zustimmung des Bestandgebers rechtfertigt die Auflösung des Bestandvertrages gemäß § 1118 1. Fall ABGB dann, wenn die vom Mieter vorgenommenen Veränderungen für die Bestandsache erheblich nachteilig sind, wobei als nachteilig eine Bauführung verstanden wird, die eine erhebliche Substanzgefährdung des Bestandgegenstandes befürchten lässt (6 Ob 589/91). Sachgemäße Vorkehrungen zur Verbesserung bzw. Modernisierung des Bestandgegenstandes können den Auflösungstatbestand grundsätzlich nicht erfüllen (5 Ob 291/07s). Solche baulichen Veränderungen können allerdings den “Intentionen“ des Bestandgebers zuwiderlaufen und dann einen erheblich nachteiligen Gebrauch bewirken, wenn dadurch wichtige wirtschaftliche oder sonstige Interessen des Bestandgebers verletzt werden, oder wenn die Gefahr der Verletzung solcher Interessen droht (6 Ob 589/91 mwN; 5 Ob 235/07f). § 1118 1. Fall ABGB soll die Möglichkeit für die Auflösung eines Bestandverhältnisses bieten, weil das für sein Weiterbestehen erforderliche Vertrauen weggefallen ist. Anspruchsgrundlage ist immer ein vertragswidriges Verhalten. Der Mieter muss sich so verhalten haben, dass er nicht mehr vertrauenswürdig ist (5 Ob 658/89; 6 Ob 589/91; 2 Ob 165/11w).
Der erheblich nachteilige Gebrauch gemäß § 1118 1. Fall ABGB umfasst, wie oben angeführt, des weiteren auch den Tatbestand des unleidlichen Verhaltens im Sinne des § 30 Abs. 2 Z 3 2. Fall MRG (3 Ob 87/10f). Die Auflösung des Bestandverhältnisses wegen unleidlichen Verhaltens setzt – ähnlich der Vertrauensunwürdigkeit – eine Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus, die durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich in häufigen Wiederholungen äußert und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt. Ausschlaggebend ist das Gesamtverhalten (2Ob 181/10x); ein einzelner Vorfall kann dann den Auflösungsgrund verwirklichen, wenn er derart schwerwiegend ist, dass er das Maß des Zumutbaren überschreitet und objektiv geeignet ist, auch nur einem Mitbewohner das Zusammenleben zu verleiden (7 Ob 113/10h).
In Vorliegendem Urteil war entscheidend, dass die Beklagte ihre Sanierungspläne auf besonders rücksichtslose Art und Weise gegenüber dem Vermieter und ihren sonstigen Mitbewohnern durchgesetzt hat. Die Bestandnehmerin führte eine Vielzahl von Änderungs-, Verbesserung- und Modernisierungsarbeiten durch, welche zum überwiegenden Teil nachträglich gemäß § 9 MRG mit Sachbeschluss bewilligt wurden und darum vom Bestandgeber zu dulden waren. Die Beklagte ignorierte jedoch ein mit einstweiliger Vorkehrung des Bezirksgerichts Fünfhaus erlassenes Verbot, weitere nicht bloß geringfügige Arbeiten am Bestandgegenstand und an allgemeinen Teilen des Hauses durchzuführen. Im Zuge der „trotzdem fortgesetzten“ Bauführung gelangten Mischmaschinen und Hiltihämmer zum Einsatz, wurden mehrerer Bauschäden in anderen Mietobjekten verursacht und bewirkten die mit den Bauarbeiten verbundenen monatelangen Lärm-, Staub- und Schmutzbeeinträchtigungen schließlich den Auszug einer Mieterin. Darüber hinaus stellte das Bezirksgericht Fünfhaus in insgesamt drei Verfahren Störungen des ruhigen Sachbesitzes durch die Bestandnehmerin fest. Sie verstieß in der Folge auch gegen auferlegte Unterlassungsgebote, wodurch der der Kläger zur Exekutionsführung veranlasst wurde.
Unter all diesen Umständen hält der Oberste Gerichtshof es für erwiesen, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Auflösungserklärung eine Gesamtbild vorliegt, das den Tatbestand des unleidlichen Verhaltens der Beklagten iSd § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG erfüllt, mag der Vermieter auch nachträglich mit Sachbeschluss zur Duldung der meisten baulichen Veränderungen verpflichtet worden sein (2 Ob 164/11y).
Mit der vorliegenden Entscheidung bleibt der Oberste Gerichtshof seiner Rechtssprechung zu § 1118 1. Fall ABGB und § 30 Abs. 2 Z 3 1. Fall sowie § 30 Abs. 2 Z 3 2. Fall MRG treu. Grundsätzlich gilt nach wie vor, dass „sachgemäß durchgeführte Veränderungen zur Verbesserung bzw. Modernisierung des Bestandgegenstandes den Auflösungsgrund grundsätzlich nicht erfüllen können“ (5 Ob 291/07s). Vorliegendenfalls überwiegt allerdings die besondere Rücksichtslosigkeit der Bauführung, die Belästigung und Störung anderer Mieter durch schweres Baugerät und die Tatsache, dass sich die Mieterin über das Verbot einer einstweiligen Verfügung hinwegsetzt und Sachbeschlüsse aus Besitzstörungsurteilen schlichtweg ignoriert hat.