Ein VwGH–Erkenntnis mit weitreichenden Folgen: Festsetzungsbescheide des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien nichtig (Teil I)
Eine äußerst interessante Entscheidung erging im April diesen Jahres für die Ärzteschaft in Wien. Der VwGH (E vom 27.04.2015, 2012/11/0082) hat in mehreren Anlassfällen ausgesprochen, dass die Beschlussfassung des Verwaltungsausschusses der Ärztekammer für Wien hinsichtlich der Festsetzung der Fondsbeiträge derart mangelhaft war, dass Nichtbescheide vorliegen. Mit den weitreichenden Folgen sind diese Judikates beschäftigen wir uns im nächsten TTP-Rechtsblog.
Der Anlassfall:
Frau Dr. B T, Ärztin, erhielt einen Festsetzungsbescheid des Verwaltungsausschusses des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien vom 06.05.2011, wonach der endgültige Fondsbeitrag für das Jahr 2010 mit EUR 12.807,11 festgesetzt wird. Nach Abzug der geleisteten Zahlungen – so der Festsetzungsbescheid – besteht ein Zahlungsrückstand von EUR 8.875,67.
Gegen diesen Bescheid erhob sie Beschwerde an den Beschwerdeausschuss des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien (alte Rechtslage; nunmehr zuständig für solche Beschwerden ist das Landesverwaltungsgericht Wien), welcher der Beschwerde – erwartungsgemäß – keine Folge gab. Also rief besagte Ärztin, als eine von vielen, den Verwaltungsgerichtshof an. Nach mehrjähriger Dauer besteht nunmehr Klarheit über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung des Fondsbeitrages: Die Festsetzung ist nichtig – weil es dem Festsetzungsbescheid am Bescheidcharakter mangelt.
Mangelhafte Bescheiderlassung:
In detaillierter Recherchearbeit hat der VwGH das Zustandekommen des Festsetzungsbescheides von Frau Dr. B T – und sämtlicher anderer Wiener Ärzte – analysiert und ist zu dem Schluss gekommen, dass sämtliche Festsetzungsbescheide nicht gesetzeskonform ergangen sind.
Der Verwaltungsausschuss des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien beschloss nämlich gerade nicht den Inhalt der jeweiligen einzelnen Bescheide, sondern stimmte lediglich über eine ihm vorgelegte – im Anlassfall 245 Seiten umfassende – Tabelle ab, aus denen sich Vorname, Zuname, (Beitrags)Jahr, Fondsbeitrag, vorläufiger Fondsbeitrag (vFB) sowie Guthaben/Rückstand ergaben der einzelnen Fondsmitglieder ergaben. Mit der Ausfertigung der einzelnen, individuellen Bescheide wurden demgegenüber Dritte ermächtigt.
Dritte mit der Ausfertigung der Bescheide zu betrauen ist jedoch weder nach der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wienn noch nach dem Ärztegesetz zulässig. Vielmehr – so der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis – hätte die Urschrift des jeweiligen Festsetzungsbescheides der Unterschrift des Vorsitzenden des Verwaltungsausschusses bedurft.
Der Verwaltungsgerichtshof geht darüber hinaus auch davon aus, dass die Abstimmung über eine Tabelle keine ordnungsgemäße Beschlussfassung des Kollegialorgans „Verwaltungsausschuss“ hinsichtlich des Bescheidinhaltes darstellt, da auch die konkrete Begründung Bestandteil des Bescheides im Sinne des § 56 AVG ist, sodass eine bloße Abstimmung über vorlegte Beitragszahlen den Erfordernissen nicht genügt. Eine (summarische) Beschlussfassung bedingt demgegenüber, dass dem Verwaltungsausschuss bei Beschlussfassung Entwürfe der beabsichtigten Erledigung vorlägen und überdies die Entwürfe dem Beschlussprotokoll angeschlossen werden.
Unmittelbare Folgen des Judikates:
Ein Nichtbescheid, bzw. absolut nichtiger Bescheid, liegt immer dann vor, wenn gravierende Mängel vorhanden sind, sodass ein solcher „Rechtsakt“ bereits ursprünglich nicht entsteht (VwGH vom 24.01.2000, 95/17/0480). Einen solchen gravierenden und damit absolute Nichtigkeit begründenden Fehler stellt es dar, wenn der Bescheid nicht von der dafür zuständigen Behörde erlassen wird (vgl. Hengstschläger – Leeb, AVG, § 56 Rz. 7, mit weiteren Nachweisen). Genau dies ist jedoch hier der Fall, da die Bescheiden von Dritten und nicht dem Verwaltungsausschuss erlassen wurden. Die Festsetzungsbescheide des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien sind Nichtbescheide und haben somit nie Eingang in den Rechtsbestand gefunden haben.
Der Verwaltungsausschuss des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien ist somit gehalten, die Art und Weise seiner Beschlussfassung gleich in mehrfacher Hinsicht abzuändern, um in Zukunft Bescheide anstelle von Nichtbescheiden ins Leben zu rufen.
Damit ist es aber nicht getan, denn Nichtigkeit liegt nicht nur in den Anlassfällen vor, sondern sind sämtliche in dieser Art und Weise erlassenen Bescheide als Nichtbescheide zu qualifizieren. Es ist daher davon auszugehen, dass davon sämtliche „Festsetzungsbescheide“, die seit der Verwaltungsausschusssitzung vom 30. April 2011 erlassen wurde, betroffen sind. Und in Wahrheit wird dies auch noch für viele Jahre davor erlassene Bescheide gelten.
Faktisch muss daher der Verwaltungsausschuss des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien sämtliche Fondsbeiträge neu festsetzen. Und zwar nicht nur hinsichtlich bis dato nicht bezahlter Beiträge, sondern auch hinsichtlich sämtlicher bereits bezahlter Beiträge um eine taugliche Grundlage für den (weiteren) Einbehalt der bezahlten Fondsbeiträge zu haben.
Ende Teil I – Im zweiten Teil beschäftigen wir uns mit den weitreichenden Folgen des Judikats für die Wiener Ärzteschaft.