Keine Präklusion des Aufrechnungsrechtes des Versicherers durch Erteilung einer Deckungszusage

I. Das Aufrechnungsrecht nach § 35b VersVG

a) Allgemeines 

Gemäß § 35b VersVG kann der Versicherer eine ihm aus dem Versicherungsvertrag zustehende Forderung (beispielsweise eine fällige Prämie) von der ihm nach diesem Vertrag obliegenden Leistung abziehen. Dieses Aufrechnungsrecht steht dem Versicherer sowohl gegenüber dem Versicherungsnehmer als auch gegenüber einem Dritten zu. Die Bestimmung des § 35b VersVG gewährt dem Versicherer insoweit eine erweiterte Aufrechnungsmöglichkeit durch Beseitigung des nach § 1438 ABGB erforderlichen Merkmals der Gegenseitigkeit der Forderungen (Riedler in Fenyves/Schauer (Hrsg), VersVG § 35b Rz 5). Dadurch wird der im Versicherungsvertragsrecht häufig vorkommenden Situation Rechnung getragen, dass der Versicherer die Versicherungsleistung nicht dem Versicherungsnehmer, sondern einem Dritten schuldet (Riedler in Fenyves/Schauer (Hrsg), VersVG § 35b Rz 2).

Die Aufrechnung tritt grundsätzlich nicht von selbst ein (kein ipso iure compensatur), sondern bedarf der ausdrücklichen oder schlüssigen Aufrechnungserklärung und damit der Ausübung eines Gestaltungsrechts (Griss in KBB4 § 1438 Rz 3). Auch § 35b VersVG begründet ein Gestaltungsrecht des Versicherers, das gegenüber dem Dritten rechtsgestaltend zu erklären ist, wobei auch eine konkludente Aufrechnungserklärung möglich ist, die in der Erbringung der verminderten Versicherungsleistung besteht (Riedler in Fenyves/Schauer (Hrsg), VersVG § 35b Rz 12). Wir würden Ihnen jedoch von dieser Vorgangsweise abraten und Ihnen in jedem Fall die Abgabe einer ausdrücklichen Aufrechnungserklärung empfehlen.

b) Zur Aufrechnung in der Rechtsschutzversicherung

Durch die Bestimmung des § 35b VersVG wird – abgesehen vom Wegfall des Erfordernisses der Gegenseitigkeit – auch ausdrücklich klargestellt, dass für die Aufrechnung eine völlige Gleichartigkeit von Forderung und Gegenforderung nicht erforderlich ist. Ein Rechtsschutzversicherer kann mit seinen Prämienforderungen daher auch dann aufrechnen, wenn der Versicherungsnehmer nur einen Anspruch auf Schuldbefreiung hat (Riedler in Fenyves/Schauer (Hrsg), VersVG § 35b Rz 11 mwN).

Im Bereich der Rechtsschutzversicherung richtet sich der Anspruch des Versicherungsnehmers regelmäßig auf Befreiung von der Kostenlast durch Honorarforderungen seines Rechtsanwalts. Man könnte meinen, dass die Forderung des Versicherers auf Zahlung der aushaftenden Prämien, die einen Geldleistungsanspruch darstellt, nicht völlig gleichartig mit dem Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers ist und eine Aufrechnung dadurch problematisch ist. Sämtliche in diese Richtung gehende Zweifel werden jedoch durch die Bestimmung des § 35b VersVG ausgeräumt (Geroldinger, Laimböck, RdW 2009/491).

II. Keine Präklusion des Aufrechnungsrechtes durch vorherige Deckungszusage (LG Feldkirch, 2 R 100/13s)

In seiner Entscheidung zu 2 R 100/13s hatte das Landesgericht Feldkirch die Frage zu klären, ob das Aufrechnungsrecht des Rechtsschutzversicherers präkludiert ist, wenn dieser zuvor eine Deckungszusage erteilt hat.

Im gegenständlichen Fall erteilte der Versicherer einer bei einem Unternehmen mitversicherten Privatperson (Mitversicherter) in den Jahren 2006 und 2007 Kostendeckung für die Vertretung in einem Verwaltungsstrafverfahren. Im Jahr 2009 wurde über den Versicherungsnehmer der Konkurs eröffnet, wobei der Versicherer für seine aushaftende Prämienforderung lediglich eine Quote in Höhe von etwa 11 Prozent erhielt. Im Jahr 2011 begehrte der Mitversicherte schließlich den Ersatz seiner Anwaltskosten für die Vertretung im Verwaltungsstrafverfahren. Der Versicherer erklärte sodann die Aufrechnung mit seiner offenen Prämienforderung gegenüber dem Versicherungsnehmer und erbrachte folglich keine Zahlung gegenüber dem Mitversicherten.

Der Mitversicherte argumentierte, dass das Aufrechnungsrecht des Versicherers präkludiert sei, da ihm dieser bereits in den Jahren 2006 und 2007 (ohne jeden Vorbehalt) eine Deckungszusage erteilt habe. Diese stelle ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis dar, das spätere Einwendungen und Einreden des Versicherers ausschließe, die ihm bei Abgabe der Deckungszusage bekannt gewesen seien oder mit denen er zumindest rechnete oder rechnen musste. Bereits zum Zeitpunkt der Abgabe der Deckungszusagen in den Jahren 2006 und 2007 habe der Versicherer damit rechnen müssen, dass der Versicherungsnehmer nach Eintritt eines Versicherungsfalls in Konkurs oder mit den Prämien in Rückstand geraten werde.

Das Landesgericht Feldkirch lehnte die Argumentation des Mitversicherten ab und stellte klar, dass aus § 35b VersVG nicht abgeleitet werden kann, dass die Aufrechnungsmöglichkeit des Versicherers im Fall einer Deckungszusage entfallen soll. Mit Erteilung einer Deckungszusage anerkennt der Versicherer seine Leistungspflicht aufgrund des Versicherungsfalls, verzichtet damit aber nicht auf sein Aufrechnungsrecht mit zukünftigen Prämien. Es kann nicht damit argumentiert werden, dass der Versicherer bei der Abgabe der Deckungszusage damit rechnen muss, dass der Versicherungsnehmer nach Eintritt eines Versicherungsfalls in Konkurs oder mit den Prämien in Rückstand geraten wird. Die Deckungspflicht des Versicherers hängt nämlich ausschließlich vom Eintritt des Versicherungsfalls ab, nicht aber von künftigen Prämienzahlungen. Dementsprechend wurde dem Versicherer zu seinem Schutz ein Aufrechnungsrecht gewährt, das über §§ 1438 ff. ABGB hinausgeht und auch gegenüber mitversicherten Dritten besteht. 

Schließlich führte das LG Feldkirch aus, dass auch keine unverhältnismäßige Benachteiligung des Mitversicherten vorliegt. Dieser leistet durch den Abzug der Versicherungsprämie das Entgelt für jene Leistung, die er empfängt und wird daher keineswegs unbillig getroffen.

Aus all diesen Gründen war die Aufrechnung des Versicherers mit seiner aushaftenden Prämienforderung berechtigt.