Wegehalterhaftung – Keine Haftung eines Klettervereins für Schäden durch sturmbedingten Baumsturz nahe einer Kletterroute (9 Ob 4/15a)
Alle angelegten Wanderwege, alpinen Steige und versicherten Klettersteige sind Wege im Sinne des § 1319a ABGB. Welche (Vorsichts- und Schutz-)Maßnahmen der Wegehalter im Einzelnen zu ergreifen hat, richtet sich gemäß § 1319a Abs. 2 letzter Satz ABGB danach, was nach der Art des Weges, besonders nach seiner Widmung, für seine Anlage und Betreuung angemessen und zumutbar ist. Das Merkmal der Zumutbarkeit erfordert die Berücksichtigung dessen, was nach allgemeinen und billigen Grundsätzen vom Halter erwartet werden kann. Der Umfang der Sorgfaltspflicht eines Halters hängt stets von den Umständen des Einzelfalles ab, dadurch ist, abgesehen von Fällen einer groben Fehlbeurteilung, keine erhebliche, reversible Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs. 1 ZPO gegeben; die Anrufung des Obersten Gerichtshofes ist also nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Dennoch hat der Oberste Gerichtshof mit Entscheidung vom 25. Februar 2015, 9 Ob 4/15a die Revision zugelassen und die Gelegenheit aufgegriffen inhaltliche Klarstellungen wie folgt vorzunehmen:
„Den Halter einer Kletterroute trifft – mangels entsprechender Anzeichen – keine Pflicht zur Überprüfung des felsnahen Baumbestandes, um Schäden infolge sturmbedingten Baumabsturzes zu vermeiden“ (9 Ob 4/15a).
Beklagt wurde ein Verein, welcher mit dem Eigentümer eines Waldgrundstückes, in welchem sich ein Granitfelsgebirge befindet, einen Gestattungsvertrag zur Benutzung von Geländebereichen für den Klettersport abgeschlossen hat. Der Kläger war gemeinsam mit einem anderen Kletterer im Juli 2012 in diesem Areal klettern. Aufgrund heranziehender Wetterverschlechterung und sich bereits erhöhender Windstärke brachen beide das Klettern während der Route ab. Am Fuß der Kletterroute angelangt, ging der Kläger zu jener vom Felsen begrenzten Wegstelle, an der er seinen Rucksack abgelegt hatte. Während einer starken Sturmböe brach ein in der Nähe des Felsen befindlicher vermorschter Baum ab. Ein Teil davon verletzte den Kläger schwer. Bereits die Vorinstanzen haben das Klagebegehren wegen Schadenersatz und Zahlung einer monatlichen Rente auf Lebenszeit und Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige unfallkausale Schäden abgewiesen. Dem beklagten Verein wurde von Seiten der Gerichte keine Verletzung ihrer Pflichten als Wegehalter vorgeworfen. Der Oberste Gerichtshof beanstandet die Rechtsansicht des Erst- und Berufungsgerichtes nicht. Feststellungsgemäß gab es keine Anzeichen für Gefährdungen (keine Versperrung des Zugangsweges durch umgefallene Bäume, keine bedrohlich zum Kletterfelsen hängenden Bäume). Univ.-Ass. Mag. Claudia Jandl weist in ihrer Besprechung dieser Entscheidung (WoBl 2015, Heft 12, Seite 403) darauf hin, dass sich mittlerweile zur Prüfung der kasuistischen, am jeweiligen Einzelfall orientierten Beurteilung der Zumutbarkeit von (Schutz-)Maßnahmen im Rahmen von Verkehrssicherungsspflichten des Wegehalters Mindestanforderungen der Judikatur herauskristallisiert haben. Bei öffentlichen Straßen sind naheliegenderweise strengere Maßstäbe bei Beurteilung der Sorgfaltspflicht und der Zumutbarkeit von Schutz- und Sorgfaltsmaßnahmen gefordert, sie diskutiert weiters die Entscheidung 6 Ob 21/01h und die Anspruchskonkurrenz, welche aus § 176 Abs. 4 ForstG folgt:
Gemäß § 176 Abs. 4 ForstG ist der Waldeigentümer zu Sorgfalts- und Einstandspflichten zugunsten der Benützer eines gekennzeichneten Waldweges und von Forststraßen im Umfang des § 1319a ABGB verpflichtet. Er wird darüber hinaus schadenersatzpflichtig, wenn er die ihm auferlegte Pflicht zur Abwehr der vom Waldzustand ausgehenden Gefahren für einen (auch neben dem Wald liegenden) angrenzenden Weg grob fahrlässig oder vorsätzlich verletzt; zu 6 Ob 21/01h ist der Vollständigkeit halber zu bemerken, dass § 176 Abs. 2 und Abs. 3 ForstG Haftungsprivilegien des Waldbesitzers normieren; gemäß § 176 Abs. 2 ForstG trifft den Waldeigentümer und dessen Leute sowie die an der Waldbewirtschaftung mitwirkenden Personen (vorbehaltlich des § 176 Abs. 4 ForstG oder des Bestehens eines besonderen Rechtsgrundes) keine Pflicht zur Abwehr der Gefahr von Schäden, die abseits von öffentlichen Straßen und Wegen durch den Zustand des Waldes entstehen können; sie sind insbesonders nicht verpflichtet, den Zustand des Waldbodens und dessen Bewuchses so zu ändern, dass dadurch solche Gefahren abgeändert oder vermindert werden können. § 176 Abs. 3 ForstG nimmt Haftungsbegrenzungen vor, sofern es zu Körperschäden und Tötungen von Menschen im Zusammenhang mit Arbeiten im Zuge von Waldbewirtschaftungen kommt; hier wird eine Einschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit vorgenommen. Sofern – und dies ist allen Wanderern ins Gedächtnis zu rufen – Schäden bei (zB infolge Baumfällungen) gesperrten Flächen erfolgen, ist die Haftung auf Vorsatz eingeschränkt. Dies nimmt auf die Unwegsamkeiten des Wald- und Forstbetriebes und die prinzipielle Gefährlichkeit von Waldarbeiten Rücksicht. Eine gesonderte Eingriffsnorm im Sinne des zitierten Gesetzes stellt allerdings § 176 Abs. 4 ForstG dar; bereits in der älteren Rechtsprechung zu 1 Ob 625/94 (SZ 68/145) wurde zu Recht erkannt, dass der Waldeigentümer mit der Obsorgepflicht bei erkennbar gefährlichem Waldzustand entlang öffentlicher Straßen und Wegen belastet ist. Diese Judikatur fortschreibend hat der Oberste Gerichtshof zu 6 Ob 21/01h zu Recht erkannt, dass aus § 176 Abs. 4 ForstG prinzipiell eine Obsorgepflicht des Waldbesitzers „zu Gunsten der Straßenbenützer der an den Wald angrenzenden öffentlichen Straßen“ (vgl. 6 Ob 21/01h) zu bejahen ist. Der Oberste Gerichtshof hat mit der Vorjudikatur zu 5 Ob 3/99y und 10 Ob 33/00h richtungsweisend aus dem umfassenden Immissionsverbot des § 364 ABGB abgeleitet, dass auch körperliche Immissionen – Steinschlag oder abrutschende Bäume – als unzulässige Immissionen zu qualifizieren sind und das Haftungsprivileg des § 176 Abs. 3 ForstG verneint. Zwar stellt auch die Wegehalterhaftung des § 1319a ABGB prinzipiell ein Haftungsprivileg bzw. Haftungserleichterung dar, wonach der Wegehalter nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haftet; grobe Fahrlässigkeit wird prinzipiell als auffallende Sorglosigkeit und damit extremes Abweichen von der objektiv gebotenen Sorgfalt definiert. Stets muss ein Schaden allerdings durch einen „mangelhaften Zustand“ des Weges verursacht werden, um überhaupt zu einem haftungsbegründenden Tatbestand zu gelangen:
-) Eine Autobahn erfordert wiederum einen anderen Zustand als ein Wanderpfad, eine Skiabfahrt oder ein Klettersteig (SZ 60/189).
Hieran knüpft auch die Frage der Zumutbarkeit von Vorkehrungen an Schutz- und Vorsichtsvorkehrungen im Sinne der zitierten Entscheidung 9 Ob 4/15a an. Die Entscheidung 6 Ob 21/01h ist insoweit spannend, als die im Forstgesetz normierte Haftung des Waldbesitzers gemäß § 176 Abs. 4 ForstG (für an den Wald angrenzende Wege und Straßenflächen) nicht strenger ist als die Haftung des Wegehalters selbst; hier ist ebenfalls eine Einschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (wie in § 1319a ABGB) gegeben. Die nunmehr ständige Rechtsprechung hat jedoch in analoger Anwendung des § 1319 ABGB die Haftung für den „Einsturz oder die Ablösung von Teilen eines Gebäudes“ auf umstürzende Bäume ausgeweitet (MietSlg 35.260; SZ 59/121; 1 Ob 93/00h mwN; Harrer in Schwimann, ABGB², Rz 16 zu § 1319, Reischauer in Rummel, ABGB², Rz 11 zu § 1319 [6 Ob 21/01h]). Haftungsadressat ist der Inhaber bzw. jeder, der in der Lage war, die erforderlichen Vorkehrungen zur Abwehr der Gefahr zu schaffen, insbesonders auch der Fruchtnießer (6 Ob 21/01h). § 1319 ABGB, welcher analog auf Bäume anzuwenden ist, sieht kein Haftungsprivileg, keine Einschränkung der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vor; § 1319 ABGB ist aber nur dann analog anwendbar, wenn nicht ein Wald im Sinne des Forstgesetzes vorliegt. Damit sind spannende – auch von Jandl in ihrer Entscheidungsbesprechung erwähnte – Abgrenzungsfragen bei Berücksichtigung des Verschuldensmaßstabes nach § 1319a ABGB, § 176 Abs. 4 ForstG und bei der analogen Anwendung des § 1319 ABGB auf Bäume angesprochen.
Die vorliegende Entscheidung steht im Einklang mit der von der ständigen Rechtsprechung und einhelliger Lehre vertretenen Auffassung, wonach auch gewidmete Wanderwege und Klettersteige Wege im Sinne des § 1319a ABGB sind (Reischauer in Rummel ABGB², Rz 23a zu § 1319) und an den Zustand alpiner Wege keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (SZ 60/189, Reischauer in Rummel ebd). Die besonderen Bedingungen im Gebirge (Lawinen, Erdrutsch, Steinschlag etc.) schließen es nahezu aus einen Weg stets in gefahrlosem Zustand zu halten, eine ständige Überwachung und Instandhaltung ist unzumutbar; „auch dürfen die Verkehrssicherungspflichten alpiner Vereine nicht allzu weit gespannt werden“ (SZ 60/189). Eine jährliche Überprüfung der Wegeanlagen ist allerdings im Regelfall geboten (Reischauer in Rummel ebd).