§ 1096 ABGB als Gefahrtragungsregel oder Zinsminderung wegen Lärm- und Geruchsbelästigung durch Dritte (OGH 1 Ob 306/02k und 1 Ob 177/05v)

Gemäß § 1096 Abs 1 ABGB ist der Bestandgeber verpflichtet, den Bestandgegenstand in brauchbarem Zustand zu übergeben und zu erhalten und den Bestandnehmer in dem bedungenen Gebrauch oder Genuss nicht zu stören. Ist das Bestandobjekt bei der Übergabe derart mangelhaft oder wird es während der Bestandzeit ohne Verschulden des Bestandnehmers derart mangelhaft, dass es zum bedungenen Gebrauch nicht taugt, so ist der Bestandnehmer für die Dauer und im Ausmaß der Unbrauchbarkeit von der Entrichtung des Zinses befreit. Bei dieser Zinsminderung handelt es sich um einen Gewährleistungsanspruch eigener Art, der in Anpassung an die Besonderheiten von Dauerschuldverhältnisses unabhängig von den Fristen des § 933 ABGB geltend gemacht werden kann, vom Verschulden des Bestandgebers am Auftreten des Mangels nicht abhängt und schon kraft Gesetzes eintritt (1 Ob 89/02y mwN; 9 Ob 348/98m = MietSlg 51.127 = immolex 1999, 203; 1 Ob 108/97g = SZ 70/97 = MietSlg 49.118/16 = immolex 1997, 301 uva). Sofern ein Verschulden des Bestandgebers vorliegt, können darüber hinaus – sofern es zum Schadenseintritt kommt – Schadenersatzansprüche entstehen. Der Bestandnehmer kann die Zinsbefreiung bzw –minderung aber auch in Anspruch nehmen, wenn zwar der Bestandgegenstand selbst nicht mangelhaft ist, der Bestandgeber indes den bedungenen Gebrauch entweder überhaupt nicht oder doch nicht in vollem Ausmaß verschafft oder ihn im bedungenen Gebrauch stört.

Die Zinsbefreiung bzw –minderung setzt somit entweder einen Mangel des Bestandgegenstands selbst oder ein ihm vom Bestandgeber gesetztes oder ein ihm zumindest zurechenbares Verhalten voraus, wodurch der bedungene Gebrauch des Bestandgegenstands – aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen – gehindert oder beeinträchtigt wird (9 Ob 348/98m; 4 Ob 614, 615/88 = Bl 1989, 381 = MietSlg 41.093 ua); sie erstreckt sich vom Beginn der Gebrauchsbeeinträchtigung bis zu deren Beseitigung (Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht  20 § 1096 ABGB Rz 11).

In der Entscheidung 1 Ob 306/02k geht der OGH der Frage nach, ob und bejahendenfalls, wie weit dem Bestandgeber eine wesentliche, nicht abstellbare Beeinträchtigung des bedungenen Gebrauchs der Bestandsache aus tatsächlichen Gründen – so auch durch das Verhalten Dritter  und insofern unabhängig vom Bestehen bzw der Erhebung nachbarrechtlicher Ausgleichsansprüche – nach den Regeln über die Gefahrtragung zur Last fällt und damit zur Zinsbefreiung bzw –minderung gemäß § 1096 Abs 1 ABGB führt.

Entscheidungsgegenständlich war im Sachverhalt, dass der beklagten Parten ein Bestandobjekt (unter dem Straßenniveau) auf dem Wiener Karlsplatz in Bestand gegeben wurde. Dort betrieb diese ein Restaurant mit etwa 80 Sitzplätzen im Gastgarten und 90 Sitzplätzen im Lokalinneren. Ab Juni 2000 bis jedenfalls einschließlich Juli 2001 zahlte die beklagte Partei den ihr monatlich vorgeschriebenen Zins nicht. Sie leistete auch ab dem zweiten Quartal 2000 nicht die vorgeschriebenen Betriebskosten. Seit April 2000 wurde von den Wiener Linien auf dem Karlsplatz – „genau im Bereich“ des Bestandobjekts – eine Großbaustelle zum Ausbau der Wiener U-Bahn unterhalten, die u.a. eine „sehr massive Lärm- und Staubentwicklung“ verursachte.

Die klagende Partei begehrte Zahlung und Räumung des Bestandobjekts. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise Folge, bejahte also eine Zinsminderung. Auch das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren teilweise Folge, sprach jedoch aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil es zur Berechtigung einer Zinsminderung wegen kommunaler Bauarbeiten an einer einheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs mangle. Der OGH gab der Revision der klagenden Partei keine Folge und gelangte in rechtlicher Hinsicht zu der für diese Entscheidungsbesprechung relevanten rechtlichen Beurteilung:

Jeder Vertragspartner hat die Nachteile zu tragen, die sich aus einer Sphäre ergeben. Somit trägt der Bestandgeber das Risiko für alle auf Zufall beruhenden Umstände, die den Ausfall oder eine wesentliche Einschränkung des Gebrauchsnutzens der Bestandsache zur Folge haben; er verliert daher ganz oder teilweise den Anspruch auf Leistung des Zinses. Ist dagegen der Bestandnehmer verhindert, das Bestandobjekt zu nutzen oder zu gebrauchen, obwohl es benutzbar ist, so fällt nach § 1107 ABGB ihm das Zinsrisiko zu, so dass er den Zins zu zahlen hat, obgleich er gar keinen oder nur einen verringerten Gebrauchsnutzen hat (Welser in Koziol/Welser II12 222). Dabei ist als Zufall jeder Umstand anzusehen, der trotz gehöriger Sorgfalt nicht abwendbar, somit nicht als Verschulden anlastbar ist (6 Ob 172/00p; SZ 53/41). Diese Erwägungen führen zum Ergebnis, dass sich die Bedeutung des § 1096 Abs 1 ABGB nicht etwa in der Regelung der Rechtsfolgen einer vom Bestandgeber als Gewährleistung zu vertretenden Leistungsstörung erschöpft, sondern, dass diese Bestimmung auch Ausdruck eines Grundsatzes der Gefahrtragung beim Bestandvertrag ist. [Anmerkung: die §§ 1104 ABGB sehen besondere Gefahrtragungsregeln für „außerordentliche“ Zufälle vor; die im konkreten Fall vorgenommenen Baustellenarbeiten stellen jedoch keinen solchen (außerordentlichen) Zufall dar].

Der OGH wörtlich:

Es wurde bereits erläutert, dass der Bestandgeber den ausdrücklich bedungenen oder nach dem Vertragszweck oder der Verkehrssitte zu erwartenden Gebrauchsnutzen zu gewährleisten und die Folgen der seiner Sphäre zuzurechnenden Zufälle zu tragen hat. Vertragszweck ist im Anlassfall der Betrieb eines Restaurants. Dass die nach der Verkehrssitte übliche Nutzung eines Unternehmens der Gastronomie – das die klagende Partei nach ihrem Vorbringen der beklagten Partei verpachtete – durch starken Lärm, erhebliche Staubbelastung, Uringestank und Ratten auf dem Betriebsgelände, durch den erschwerten schlauchartigen Zugang und durch mangelnde Wahrnehmbarkeit des Betriebseingangs von der Straße aus nicht beeinträchtigt würde, behauptet auch die klagende Partei nicht (mehr). Nach allen bisherigen Erwägungen ist es aber für den Anspruch des Bestandnehmers auf Zinsminderung nicht von Bedeutung, ob der Bestandgeber die durch Baustellen Dritter verursachten, nicht ortsüblichen Immissionen, die den Gebrauchsnutzen der Bestandsache unmittelbar und wesentlich beeinträchtigen, zu vertreten hat, maßgebend ist vielmehr nur, ob dieses Risiko, das sich auf das Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen als zufällige Beeinträchtigung des Gebrauchsnutzens der Bestandsache auswirkt, der Sphäre der klagenden Partei oder jeder der beklagten Partei zuzuweisen ist. Danach rühren die festgestellten Beeinträchtigungen aus der Sphäre der klagenden Partei her, trägt doch der Bestandgeber das Risiko für alle auf Zufällen beruhenden Umstände, die – wie hier – die gänzliche oder teilweise Unbenützbarkeit des Bestandobjekts mit sich bringen. Somit verlor die klagende Partei teilweise den Anspruch auf den Zins. Die kraft Gesetzes schon durch die der Sphäre der klagenden Partei zuzurechnende Beeinträchtigung des Gebrauchsnutzens der Bestandsache eingetretene Zinsminderung hängt auch nicht davon ab, ob die beklagte Partei die klagende Partei aufforderte, sie durch Erhebung nachbarrechtlicher Ausgleichsansprüche gegen Dritte schadlos zu halten (siehe zum Wahlrecht des Bestandnehmers SZ 63/220): Andernfalls müsste die beklagte Partei den unverminderten Mietzins während des Prozesses gegen Dritte trotz des bereits wirksamen verminderten Gebrauchsnutzens der Bestandsache weiter zahlen, obgleich die erörterte Beeinträchtigung in die Sphäre der klagenden Partei fällt, die dafür sogleich im Weg der gerechtfertigten Zinsreduktion einzustehen hat.

Der Folgeentscheidung 1 Ob 177/05v lag der Sachverhalt zugrunde, dass die Wohnung (samt Garten) der dortigen Beklagten wegen Bauarbeiten auf der Nachbarsliegenschaft einer erhöhten Lärm- und Geruchsbelästigung ausgesetzt war, weshalb eine Zinsminderung (vom Erstgericht und Berufungsgericht) bejaht wurde. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung 1 Ob 306/02k sprach der OGH aus, dass kein Anlass bestehe, von den dort dargelegten Grundsätzen abzugehen. Für den zu beurteilenden Fall bedeutet das, dass die Klägerin das Risiko der Einschränkung des Gebrauchsnutzens des dem Beklagten vermieteten Bestandobjektes infolge der – von der Klägerin nicht abwendbaren – Errichtung eines Gebäudekomplexes im unmittelbaren Nahebereich zu tragen hat.

Das heißt zusammengefasst:

Nach stRsp handelt es sich bei der Zinsminderung gemäß § 1096 ABGB nicht nur um eine Gewährleistungsbestimmung besonderer Art, sondern auch um eine Gefahrtragungsregel, wonach der Bestandgeber das Risiko für eine Gebrauchsbeeinträchtigung auch dann zu tragen hat, wenn diese aus dem Verhalten eines Dritten (neutrale Sphäre) herrührt. Die zufällige Beeinträchtigung des Gebrauchsnutzens – z.B. durch Bautätigkeit auf der Nachbarliegenschaft – fällt damit dem Bestandgeber zur Last und berechtigt den Bestandnehmer zur Zinsminderung; dies jedenfalls dann, wenn die Immissionen das ortsübliche Ausmaß übersteigen.