Rechtsmissbräuchlicher Spätrücktritt wegen angeblich fehlender Belehrung über das Rücktrittsrecht bei Lebensversicherungen (als Tilgungsträger) / Gesetzliche Neuregelung von Rücktrittsrecht und Belehrungsinhalt

Ausgehend von den Entscheidungen des EuGH besteht seit 2015 das Judikat des OGH, wonach aufgrund fehlerhafter Belehrung über die Dauer des Rücktrittsrechtes bei richtlinienkonformer Auslegung des § 165a Abs. 2 VersVG dem Versicherungsnehmer ein unbefristetes Rücktrittsrecht zugestanden wird (vgl. RIS-Justiz RS0130376; OGH 7Ob107/15h). Dies hatte zu Einwendungen von Kreditnehmern endfälliger Fremdwährungskredite mit Lebensversicherungen als Tilgungsträger einerseits und zu großem Unbehagen bei Versicherungsunternehmen andererseits geführt. Während beim Themenbereich Fremdwährungskredit mit Tilgungsträger, sich die ablehnende Judikatur neuerlich verfestigte, hat der Gesetzgeber für Lebensversicherungen u.a. das Rücktrittsrecht, den Inhalt der Belehrungspflicht und einige wesentliche Rechtsfolgen bei unterlassener oder fehlerhafter Belehrung geregelt:

1. Bereits im TT&P-Rechtsblog vom 3. Jänner 2018 „Kein Einwendungsdurchgriff und kein Rücktrittsrecht beim Fremdwährungskredit mit Lebensversicherung als Tilgungsträger – Anmerkungen zu OGH 3Ob173/17p, 4Ob37/17w, 1Ob119/16x und 3Ob182/15h wurde die zur Ablehnung des Einwendungsdurchgriffes und Ablehnung des Rücktrittsrechtes ergangene Judikatur des OGH zusammengefasst. Nunmehr hat der OGH in 7Ob133/18m den erklärten Spätrücktritt (wegen Fehlberatung über das Rücktrittsrecht) als Rechtsmissbrauch tituliert; dies gilt sowohl für die als Tilgungsträger abgeschlossene Lebensversicherung im Zusammenhang mit einem Fremdwährungskredit als auch für das Versicherungsprodukt/Anlageprodukt selbst: In seiner Begründung führte der OGH aus, dass das Rücktrittsrecht nicht den Zweck verfolgen würde, dem Erwerber eines Finanzproduktes bloß aufgrund fehlender Belehrung über sein Rücktrittsrecht die Möglichkeit zu eröffnen, sich Jahre später ohne jeglichen Bezug zu den Umständen des Vertragsabschlusses von einem Anlagerisiko zu befreien, welches er beim Erwerb des Finanzproduktes auf sich genommen hat; ein zu diesem Zweck erklärter Spätrücktritt kann daher rechtsmissbräuchlich sein.

2. Mit Wirksamkeit ab Jahresbeginn 2019 hat der Gesetzgeber in § 5c VersVG das Rücktrittsrecht neu und klar geregelt: Demnach kann der Versicherungsnehmer vom Versicherungsvertrag innerhalb von 14 Tagen – bei Lebensversicherungen innerhalb von 30 Tagen – ohne Angabe von Gründen zurücktreten. Die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechtes beginnt mit dem Tag, an dem der Versicherungsvertrag zustande gekommen ist und der Versicherungsnehmer eine Reihe wichtiger Informationen erhalten hat (Versicherungsschein, Versicherungsbedingungen u.a.). Die Gesetzesnovelle bringt insoferne Klarheit als die Anlage A zum Versicherungsvertragsgesetz nunmehr rechtliche Klarheit über Form und Inhalt der Rücktrittsbelehrung bringt; gemäß § 5c Abs. 3 letzter Satz VersVG genügt die Rücktrittsbelehrung den Anforderungen, wenn das Muster gemäß Anlage A verwendet wird. Gemäß § 5c Abs. 5 VersVG erlischt das Rücktrittsrecht spätestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheines einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht.

Bei fehlender oder falscher Belehrung über das Rücktrittsrecht sind Rücktritte weiterhin unbefristet möglich. Im neu geschaffenen § 176 Abs. 1a VersVG sind nunmehr die rechtlichen Konsequenzen insbesondere bei fehlender oder falscher Belehrung über das Rücktrittsrecht geregelt: Sind also nicht alle Voraussetzungen für den Beginn der Rücktrittsfrist gemäß § 5c Abs. 2 VersVG erfüllt, so gebühren dem Versicherungsnehmer bei einem Rücktritt von einer Kapitalversicherung innerhalb eines Jahres nach Vertragsabschluss die für das erste Jahr gezahlten Prämien; bei einem Rücktritt von einer Kapitalversicherung ab dem zweiten bis zum Ablauf des fünften Jahres nach Vertragsabschluss gebühren der Rückkaufswert ohne Berücksichtigung der tariflichen Abschlusskosten und des Abzugs gemäß § 176 Abs. 4 VersVG; trägt der Versicherungsnehmer das Veranlagungsrisiko, so kann der Versicherer allfällige bis zum Rücktritt eingetretenen Veranlagungsverluste berücksichtigen. Sowohl die Judikaturlinie gemäß Punkt 1. als auch die neue Rechtslage gemäß Punkt 2. haben viel Klarheit zur Ablehnung rechtsmissbräuchlicher Einwendungen sowie zu Rücktrittsrecht, Inhalt und Form der Belehrung und der Rechtsfolgen bei fehlender oder falscher Belehrung gebracht.

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