Ansprüche von Mietern und Pächtern auf Entfall oder Minderung des Bestandzinses iZm der COVID-19 Virusinfektion („Corona-Virus“)
Bestandnehmern (Mieter und Pächter) von Geschäftslokalen, die von den behördlichen COVID-19-Maßnahmen (empfindlich) betroffen sind, steht gemäß §§ 1104 und 1105 ABGB gegenüber dem Bestandgeber ein Anspruch auf Entfall oder zumindest gravierende Minderung des Bestandzinses zu: So wie das „Corona-Virus“ uns vor völlig neue Herausforderungen stellt, kann auch noch keine „gesicherte“ Rechtsprechung zu COVID-19 vorliegen; die nachfolgend dargestellte Rechtslage entspricht jedenfalls der derzeit herrschenden oder zumindest der überwiegenden Meinung:
Die COVID-19-Virusinfektion ist eine Pandemie, eine Seuche in der Terminologie des Gesetzgebers des ABGB. Die Bundesregierung hat drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung dieser Viruserkrankung beschlossen. Am 15.03.2020 wurde mit BGBl. II Pkt. 96 auf Grundlage des COVID-19-Maßnahmengesetzes BGBl. I Nr. 12/20 eine Verordnung mit vorläufigen Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erlassen. Seit diesem Zeitpunkt sind nicht nur die Straßen leer und die Geschäfte geschlossen; das Betreten des Kundenbereiches von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen, sowie von Freizeit- und Sportbetrieben ist untersagt. Auch das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten des Gastgewerbes sind untersagt; es gibt abermals eingeschränkte konkrete Ausnahmen. Das gesamte öffentliche Leben und das Wirtschaftsleben sind von den Einschränkungen aufgrund der vorliegenden Seuche betroffen.
Der Gesetzgeber des ABGB hat durch den Mietzinsbefreiungstatbestand des § 1104 ABGB vorgesorgt. Von dieser Norm sind Katastrophenfälle umfasst. Es geht um „außerordentliche Zufälle“, wie es das ABGB zum Ausdruck bringt. Die Aufstellung des § 1104 ABGB, welche auf Feuer, Krieg, große Überschwemmung, „Wetterschläge“ oder „gänzlichen Misswachses“ Bezug nimmt, ist demonstrativ.
Wie im Bereich des § 1096 ABGB, welcher die Mietzinsminderung regelt, tritt auch im § 1104 ABGB eine Mietzinsminderung ein. Die Mietzinsminderung ist eine gänzliche, wenn das Bestandobjekt nicht mehr zum bedungenen Gebrauch benützt werden kann. Sie ist eine bloß anteilige, wenn das Mietobjekt nicht mehr zum vollen bestimmungsgemäßen Gebrauch taugt.
Maßgebend für die Mietzinsminderung ist die konkret ausbedungene Verwendung des Bestandobjektes. Relevant ist, ob das Objekt gänzlich oder teilweise benützt werden kann. Das ABGB nennt im § 1104 als ausdrücklich, dass auch im Seuchenfall und einer daraus resultierenden Mietzinsminderung eine Befreiung von der Mietzinszahlungspflicht eintritt.
Die bisher zu § 1104 ergangenen Entscheidungen sind vor allem historische Entscheidungen. Es geht zumeist um die Beschlagnahme eines Bestandobjektes im Rahmen der Besatzung und durch die Besatzungsmacht. Für diesen Fall ist der Mieter von der Mietzinszahlungspflicht befreit. Der außerordentliche Zufall iSd § 1104 ABGB, welcher den Mieter von der Mietzinszahlungsverpflichtung befreit, trifft den Vermieter. Solch ein außerordentlicher Zufall sind Katastrophenfälle, die einen größeren Personenkreis auf eine Art treffen, die durch eine gesetzliche Regelung (Schadenersatz) nicht entsprechend ausgeglichen werden kann (JB 1987, 377=MietSlg. 39144/11).
Die zur Hintanhaltung der weiteren Verbreitung der Seuche getroffenen behördlichen Maßnahmen stellen demzufolge einen verschuldensunabhängigen Tatbestand zum gänzlichen oder teilweisen Einbehalt des Mietzinses dar.
Einfacher zu lösen scheinen jene Probleme zu sein, welche im Zusammenhang mit einer gänzlichen Mietzinsminderung stehen, etwa bei einem Gastgewerbebetrieb, welcher nunmehr gänzlich zusperren muss. Meines Erachtens ist der Sachverhalt allerdings nicht anders zu lösen, wenn eine bloß teilweise Unbrauchbarkeit gegeben ist. Dann tritt infolge der klaren Anordnung des § 1105 ABGB eine teilweise Befreiung von der Mietzinszahlungspflicht ein. Diese teilweise Befreiung der Mietzinszahlungsfrist tritt im Umfang der Beeinträchtigung ein.
§ 1108 ABGB stellt klar, dass der Mieter oder Pächter verpflichtet ist, den Vermieter zu informieren. In Ansehung der notorischen Pandemie und der österreichweit vorliegenden Umstände ist dieser Umstand meines Erachtens vernachlässigbar. Dennoch macht es Sinn, den Vermieter auf die konkrete Sondersituation und den konkreten Bedarf hinzuweisen.
Als mögliche Handlungsalternative können gelten:
-) Im Vollanwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes kann in Zusammenhang mit einer Mitteilung an den Vermieter ein gänzlicher oder teilweiser Einbehalt der Bestsandzinsforderung für die Dauer der behördlichen Beeinträchtigung vorgenommen werden.
-) Vorsichtige Mieter eines Geschäftslokales (außerhalb des vollen Anwendungsbereichs des MRG) und Pächter – insbesondere wenn sie eine Mietzins- oder Pachtzinsklage mit Räumungsbegehren jedenfalls vermeiden wollen – sollten Bestandzinszahlungen nur unter dem Vorbehalt der Rückforderung gemäß § 1104 und § 1105 ABGB vornehmen.
-) Eine vorbehaltslose Zahlung des Mietzinses oder Pachtzinses in Kenntnis der den Bestandzins reduzierenden gesetzlichen Umstände gemäß § 1104 ABGB kann einen Verzicht auf die Geltendmachung der Mietzinsbefreiungs- und Mietzinsminderungstatbestände darstellen.
-) Abträglich für Mietzinsbefreiungs- und Mietzinsminderungsansprüche sind auch vorbehaltlose Stundungsvereinbarungen mit dem Vermieter, da jede Stundung auch ein Anerkenntnis des Bestandzinses (der Höhe nach) bewirken kann.
Im Einzelfall ist die konkrete Vorgangsweise mit TTP oder einem (sonstigen) Rechtsanwalt zu erörtern und festzulegen.
Bleiben Sie gesund !