Laesio enormis beim Bestandvertrag

Den gesamten Beitrag mit Analyse der Judikatur von RA Dr. Erich René Karauscheck und RA Mag. Roman Schürhuber finden Sie in der Zeitschrift Immo aktuell (August 2020), S. 203ff.

Die laesio enormis bei Bestandverträgen ist ein komplexer Rechtsbehelf, der naturgemäß bei Sachverhalten angetroffen wird, die eine erhebliche „Schieflage“ aufweisen. Die falsche Vorstellung vom gemeinen Wert stellt in der Regel einen unbeachtlichen Motivirrtum dar.[1] Wenn aber die objektive Äquivalenz iSd § 934 ABGB nicht gegeben ist, kann dies zur Aufhebung des Vertrags führen. Laesio enormis ist deshalb als fortentwickelter standardisierter Wertirrtum anzusehen, bei dem der Gesetzgeber von den einschränkenden Anfechtungsvoraussetzungen des § 871 ABGB absieht und dem Verkürzten generell ein Anfechtungsrecht eröffnet.[2] Oft ist es auch der Bestandgeber, der sich über den gemeinen Wert irrt und mit dem Rechtsbehelf die rückwirkende Vertragsaufhebung mit Räumungsklage geltend macht. In diesem Fall hat der Mieter die Möglichkeit, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung 1. Instanz die rechtsgeschäftlich relevante Erklärung abzugeben, den Vertrag aufrechterhalten zu wollen (Ersetzungsbefugnis). Die Ausübung der Ersetzungsbefugnis führt zur Vertragskorrektur.[3]Die Beurteilung des gemeinen Werts ist beim Bestandvertrag das marktübliche Entgelt, das bei Objekten, die dem MRG unterliegen, durch die Vorschriften des § 16 MRG gebildet wird. Zwingend ist die Dreijahresfrist zu beachten. Auch Rechtsnachfolger der vertragsschließenden Partei können innerhalb der Dreijahresfrist die Vertragsanfechtung vornehmen.[4]

Das Besondere an der laesio enormis ist, dass sie alleine auf die objektive Äquivalenz abstellt. Ein inhaltlich ungerechter Vertrag soll aufhebbar sein. Auch der Vermieter wird geschützt. Wenn nicht einmal die Hälfte des gemeinen Wertes geleistet wird, ist auch der Bestandgeber zur Geltendmachung der laesio enormis (selbst bei mietengeschütztem Bestandobjekt) berechtigt.


[1] Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4, § 934 Rz 198; sofern der Wert der Sache zum Vertragsinhalt gemacht wurde, kommt allerdings ein Geschäftsirrtum in Frage. Eine Täuschung über den Wert berechtigt auch ohne diese Voraussetzung zur Anfechtung.

[2] Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar (2014) § 871 Rz 14.

[3] Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4, § 934 Rz 94.

[4] Zur Frage der rechtzeitigen Geltendmachung und der Dreijahresfrist vgl RIS-Justiz RS00118798; zur Geltendmachung durch den Rechtsnachfolger und der Bindung an die Dreijahresfrist vgl OGH 15. 9. 2000, 7 Ob 27/00x.


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